Der Wohnimmobilienmarkt befindet sich im Umbruch. Die wirtschaftlichen Veränderungen der ersten Jahreshälfte machen sich langsam bemerkbar. Zeit, ein Resümee zu ziehen und darüber zu sprechen, wie sich der Markt in den kommenden 12 Monaten entwickeln wird. Dazu haben wir Christian Crain, Geschäftsführer PriceHubble Deutschland GmbH, zum Interview gebeten.
Hallo Christian. Du bist schon viele Jahre im Immobilien- und Finanzmarkt tätig und hast somit schon einige Marktphasen erlebt. Wie bewertest du die aktuelle Situation?
Zunächst, ja, das ist richtig. Ich habe mich in meiner Laufbahn viel mit den Themen Baufinanzierung und der Bewertung von Wohnimmobilien befasst und im Rahmen dessen den Deutschen und auch den Schweizer Wohnimmobilienmarkt in verschiedenen Marktzyklen erlebt. Die vergangenen fünf Jahre hat der Markt wie die Made im Speck gelebt. Sicherlich gab es einen Dämpfer zu Beginn der Pandemie, doch auch da hat sich schnell herauskristallisiert, dass Wohnimmobilien die Gewinner der Krise sind und die Wachstumsraten haben sich wie in den Jahren zuvor stabil im zweistelligen Prozentbereich nach oben bewegt.
Dass bedeutet auch der Markt ist etwas verwöhnt und blickt jetzt sorgenvoll in die kommenden 12 Monate. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine Kriegs, der Anstieg der Inflation, steigende Bau- und Rohstoffkosten und natürlich die Ankündigung der Anhebung des Leitzinses durch die EZB lassen auch den Immobilienmarkt nicht unberührt. Im Segment der Wohnimmobilien rechne ich mit einer Seitwärtsbewegung und einer Stagnierung der Preise auf einem hohen Plateau. Der Markt gesundet sich damit ein bisschen.
Soll das bedeuten, dass der Markt krank war?
Sagen wir so, vor lauter Aufregung hat er sich im Fieberwahn befunden. Die Phase der Niedrigzinspolitik hat dazu geführt, dass vor allem im Bereich der mittel- und hochpreisigen Wohnimmobilien die Käuferschicht stark aufgebläht war. Käufer, die sich bis dato “nur” 70 bis 80 Quadratmeter leisten konnten, waren dank 100 Prozent Finanzierung im Stande auch bis zu 100 Quadratmeter zu finanzieren. Jetzt sinkt die Temperatur am Markt und diese Käuferschicht wird sich wieder nach deutlich günstigeren Kauf- oder alternativ Mietobjekten umsehen müssen.
Was bedeutet diese Entwicklung für Makler oder Projektentwickler, die auch in den kommenden 12 Monaten Immobilien verkaufen wollen?
Für Projektentwickler bedeutet das zunächst einmal eine Bestandsaufnahme der laufenden Projekte und im zweiten Schritt eine Prüfung geplanter Projekte. Für laufende Projekte spielt natürlich die Finanzierung eine Rolle, sofern diese innerhalb des Projektzeitraumes neu verhandelt werden muss. Außerdem gilt es die Vermarktungspreise zu prüfen und abzugleichen mit der Käuferschicht, die ich anziehen möchte und die nun möglicherweise von dem Zinsanstieg betroffen ist. Für neue Projekte, müssen Entwickler sicherlich noch einmal genauer über die Planung schauen und gegebenenfalls auch mit digitalen Tools wie dem Building Simulator prüfen, welche Preise für welche Wohnungsgrößen erzielbar sind und anhand einer Objekt- und Standortanalyse prüfen, ob die Zielgruppe am Standort die gleiche bleiben wird und wie sich die Preise in den kommenden Monaten entwickeln werden. Wer damit frühzeitig beginnt, kann auch durch diesen agileren Marktzyklus kommen.
Für Makler und Vermittler bedeutet die anstehende Marktphase auf jeden Fall wieder etwas mehr Anstrengung oder sagen wir Herausforderung. Die Nachfrage vor allem nach mittel- bis hochpreisigen Objekten wird sich aufgrund des Wegbrechens eines Teils der Käuferschaft ausdünnen. Das bedeutet, es wird wieder etwas mehr nötig sein, den richtigen Käufer für das richtige Objekt zu finden und es muss wieder genauer geprüft werden, welchen Kaufpreis ich am Markt zu erzielen versuche. Marktpreis, statt Vermarktungspreis wird in vielen Lagen und Preissegmenten das bestimmende Credo in den nächsten 12 Monaten lauten. Eine Ausnahme bleibt das Marktsegement Luxusimmobilien, da diese Käuferschicht zumeist nur marginal von wirtschaftlichen Veränderungen dieser Art betroffen ist. Ganz im Gegenteil bleibt «Betongold» für diese Käufer auch weiterhin eine der wichtigsten Investmentanlagen.
Wenn Sie sagen, der Marktpreis wird Vorrang haben vor dem Vermarktungspreis, wie bestimme ich diesen dann?
Hierfür gibt es moderne Tools, sogenannte statistische Bewertungsmodelle, wie das unsere, die in der Lage sind anhand mehrerer hundert preisbeeinflussenden Faktoren den aktuell statistisch wahrscheinlichsten Markt- und Mietpreis einer Immobilie zu bestimmen. Unser Modell ist dabei so weit entwickelt und trainiert, dass es auch anhand der gelernten Muster und Zusammenhänge im Markt in der Lage ist eine prognostizierte Wertentwicklung für die kommenden 24 Monate zu geben. Das führt dazu, dass wir schon jetzt in einigen Lagen in der Wertentwicklung eine deutlich Veränderung in Form einer Seitwärtsbewegung sehen können. Für viele Marktteilnehmer ist das entscheidend für ihre Planungen und Prozesse. Agieren statt reagieren ist vor allem in solchen Marktzeiten wichtiger denn je.
Durch die Corona-Pandemie haben sich ja bereits viele mit dem Thema Digitalisierung auseinandergesetzt und nutzen moderne Tools zur Optimierung und Effizienzsteigerung. Wird dieser Trend weiter anhalten?
Er muss und er wird, denke ich. Die Pandemie hat viele bereits aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und quasi gezwungen digitale Wege zu finden, da dies in Zeiten von Homeoffice und Lockdown gar nicht anders möglich war. Die Nutzung digitaler Tools, die beispielsweise auf Künstlicher Intelligenz basieren oder Cloud-Computing nutzen, ist für viele noch immer ein Buch mit sieben Siegeln, weil es neu ist und von den traditionellen Herangehensweisen abweicht. Doch viele Technologien wie auch die digitale Immobilienbewertung haben sich längst etabliert und ihren Platz gefunden. Die Nutzung statistischer Bewertungsmodelle wurde vergangenes Jahr sogar bereits von der European Banking Authority in ihre Richtlinien aufgenommen, damit Banken sich für die Kreditvergabe und -monitoring mit diesen Themen auseinandersetzen.
Ein letztes großes Thema, das dieses Jahr bei allen auf der Agenda steht, ist ESG. Hier und da lichtet sich das Dunkel, aber noch immer ist das Thema eher eine Black-Box, die es zu füllen geht. Wie sehen Sie das?
Black-Box ist der richtige Begriff. Dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit wichtige Themen sind, steht denke ich für alle außer Frage. Ich begrüße es, dass sich nun auch die Immobilienwirtschaft damit grundlegend auseinandersetzt, leider gleicht das noch einem großen Ameisenhaufen. Alle sind motiviert und das gemeinsame große Ziel steht fest, doch so einen richtig detaillierten Fahrplan gibt es noch nicht und so herrscht emsiges Gewusel. Ich denke, wichtig ist es in erster Linie, Daten zu sammeln und zu strukturieren in großem Stil. Nur, wenn wir wirklich so viele Faktoren entlang von ESG erfassen und beziffern können, können wir uns damit auseinandersetzen, inwieweit und womit wir diese Faktoren beeinflussen können. Wir haben einen ersten Schritt getan mit der Integration des Energielabels in unser Modell. Damit ist es jetzt schon möglich, die Wertentwicklung einer Immobilie abzulesen, wenn ich ihre Energieklasse verbessere, beispielsweise durch energetische Sanierungsmaßnahmen. Solche datenbasierten Erkenntnisse schaffen einen konkreten Anreiz für die Wirtschaft, an Faktoren wie der Energieeffizienz von Immobilien zu arbeiten.
Das ist natürlich nur ein erster Schritt und ein kleiner Teil des Ganzen. Aber so muss die Branche als Ganzes daran arbeiten, einzelne Aspekte datenbasiert aufzuarbeiten und Maßnahmen zu entwickeln, die in die ESG Debatte einzahlen. Auch wir arbeiten mit Hochdruck daran, weiteres umzusetzen und ich hoffe, ich kann im nächsten Interview bereits davon berichten.
Das klingt hervorragend. Gibt es etwas, das Sie der Branche noch mit auf den Weg geben möchten?
Daten, Daten, Daten. Ich werde nicht müde es zu sagen. Ich denke wer die meisten Informationen hat, kann auch die besten (Immobilien-)Entscheidungen treffen. Ein wenig Marktgespür und Intuition sind ebenso wichtig, doch auch diese hat sich einmal geformt aus den Erfahrungen und damit Daten der Vergangenheit. Wer sich jetzt intensiv mit seinen Projekten und Objekten auseinandersetzt und prüft an welcher Stelle er mit Hilfe digitaler Tools Prozesse automatisieren kann, hat mehr Ressourcen für strategische Planung und vor allem für die Kundenberatung, die einmal mehr im Mittelpunkt stehen wird.
Danke Christian für das ausführliche Interview und bis zum nächsten Mal.
Christian Crain ist Co-Geschäftsführer der PriceHubble Deutschland GmbH und treibt seit 2018 die Expansion der innovativen Lösungen des Schweizer PropTechs PriceHubble für Immobilien- und Finanzprofis in Deutschland voran. Er bringt über 20 Jahre Erfahrung im Vertrieb der Immobilien- und Finanzwirtschaft mit. Als Fachwirt Wohnungswirtschaft und Realkredit begann er seine Laufbahn in verschiedenen Immobilienunternehmen. Die letzten fünf Jahre vor PriceHubble war er als COO maßgeblich am Aufbau der MoneyPark AG verantwortlich, heute eines der erfolgreichsten FinTechs in der Schweiz. Davor war er acht Jahre bei der Interhyp AG, wo er am Aufbau der Niederlassung in Berlin beteiligt war und drei Jahre als Leiter des Privatkundengeschäfts beschäftigt war.